Der Widerstand in Südtirol während des Zweiten Weltkriegs

Der Widerstand in Südtirol war vielfältig und komplex. Das Gebiet, das nach dem Ersten Weltkrieg an Italien gefallen war, wurde nach dem Sturz Mussolinis (und der Gründung der Italienischen Sozialrepublik) sowie dem Waffenstillstand vom 8. September 1943 vom nationalsozialistischen Deutschland besetzt. Südtirol kam zusammen mit Trient und Belluno unter die direkte Kontrolle der Nationalsozialisten und wurde zur Operationszone Alpenvorland (OZAV) unter der Leitung des deutschen Kommissars Franz Hofer.

In den Jahren 1940 bis 1943 befand sich die deutschsprachige Volksgruppe in Südtirol in einer schwierigen Lage: Über 80 % entschieden sich für die deutsche Staatsbürgerschaft, etwa ein Drittel zog tatsächlich ins Deutsche Reich (Option). Nach dem 8. September änderte sich das Machtverhältnis erneut. Auch wenn viele deutschsprachige Südtiroler:innen die Ankunft der deutschen Truppen als Befreiung vom italienischen Faschismus empfanden, waren nicht alle auf der Seite der neuen Machthaber. Einige Südtiroler weigerten sich zu kämpfen, versteckten sich in den Bergen oder versuchten, ins befreite Italien zu gelangen. Illegale Netzwerke halfen diesen Wehrdienstverweigerern und Deserteuren – oft mit Unterstützung von Verwandten oder Freund:innen – trotz großer Risiken. Aus den Reihen der sogenannten „Dableiber“, also jener, die sich nicht für das Reich entschieden hatten, entstand der Widerstand des Andreas-Hofer-Bundes. Er wurde 1939 gegründet und nach 1943 von Hans Egarter neu organisiert. Dieser unterstützte aktiv Deserteure und arbeitete mit anderen österreichischen Widerstandsgruppen zusammen.

Der italienische Resistenza hingegen konzentrierte sich vor allem in Städten wie Bozen und Brixen und bestand aus kleinen Gruppen. Das Industriegebiet von Bozen wurde zu einem wichtigen Knotenpunkt für den Austausch von Informationen und Materialien mit dem restlichen Italien. 1944 wurde das Comitato di Liberazione Nazionale (CLN) in Bozen gegründet, vor allem dank des Einsatzes von Manlio Longon. Wie Carlo Romeo berichtet,  fällt das historische Urteil über Longon durchweg positiv aus. Er versuchte nicht nur, die italienischen demokratischen Parteien zu vertreten, sondern auch, antinazistische Südtiroler einzubinden – unter anderem über Kontakte zum Unternehmer Erich Amonn. Er baute ein Hilfsnetz für Internierte im Lager auf, organisierte mehrere Fluchten und verbreitete Propaganda in den Fabriken. Doch die Verhaftung und Deportation vieler CLN-Mitglieder:innen, darunter auch Longon selbst, beendete diese Aktivitäten.

Ab 1944 wurde auf Anordnung Hofers die Wehrpflicht eingeführt: Hunderte junge Südtiroler wurden gezwungen, in der Wehrmacht oder der SS zu dienen. Wer sich weigerte, riskierte die Todesstrafe oder Gefängnis. Auch die Familien der Deserteure konnten durch sogenannte „Sippenhaft“ bestraft werden – also die Verhaftung von Angehörigen mit dem Ziel, psychologischen Druck zu erzeugen. In diesem Zusammenhang ist Josef Mayr-Nusser zu erwähnen, ein praktizierender Katholik und Präsident der örtlichen Katholischen Aktion. 1944 wurde er gezwungen, sich den Waffen-SS anzuschließen, doch aus religiösen Gründen weigerte er sich, Hitler die Treue zu schwören. Deshalb wurde er deportiert und starb während des Transports ins Konzentrationslager Dachau.

Die Rolle des Lagers in Bozen

Das Durchgangslager Bozen, von den Nationalsozialisten eingerichtet, war ein Internierungslager für politische Gegner:innen, judische Menschen und Zivilist:innen, die zur Deportation bestimmt waren. Einige konnten dank des geheimen Netzwerks des CLN und mit Hilfe von Häftlingen und Freiwilligen fliehen. Nach der Zerschlagung des örtlichen CLN im Jahr 1944 wurde der Widerstand vor allem von Frauen weitergeführt – außerhalb des Lagers etwa von Franca „Anita“ Turra, Mariuccia Caretti und Elena Bonvicini, innerhalb des Lagers von Ada „Maria“ Buffulini.

Neben den organisierten und sichtbaren Formen des Widerstands gab es jedoch auch einen stillen, alltäglichen Widerstand – bestehend aus kleinen Akten des Ungehorsams, gegenseitiger Hilfe, dem Teilen von Essen, dem Verstecken von Menschen, dem Überbringen von Nachrichten oder einfach dem Verweigern der Zusammenarbeit mit der deutschen Besatzungsmacht. Diese „alltägliche“ Form des Widerstands war häufig weiblich geprägt. Sie war nicht immer politisch motiviert, sondern entsprang oft einem Sinn für Gerechtigkeit, Solidarität oder Menschlichkeit. Auch wenn sie weniger spektakulär war, war sie entscheidend, um Deserteure zu unterstützen, Verfolgte zu schützen und Vertrauensverhältnisse in einem Klima der Angst und des Verrats aufrechtzuerhalten.

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Bücher

Quaderni della Memoria 1/99 "Anche a volerlo raccontare è impossibile, scritti e testimonianze sul lager di Bolzano

Selbst wenn man es erzählen wollte, ist es unmöglich“. Schriften und Zeugnisse über das Lager von Bozen.
Herausgegeben von Giorgio Mezzalira und Cinzia Villani, Kulturkreis ANPI Bozen, Bozen 1999
Der vollständige Text ist auf der Website der ANED verfügbar, hier der Link:       
https://deportati.it/biblioteca/librionline/libri_bz1/

Partigiane: Die Frauen des Widerstands, Addis Saba, 1998

Marina Addis Sabas Buch erzählt die Geschichte des Widerstands im Zweiten Weltkrieg aus der Sicht der Frauen. Sie zeigt, wie wichtig die Rolle der Frauen im Kampf gegen den Faschismus war. Viele Frauen halfen, indem sie Waffen, Nachrichten, Munition und Menschen transportierten oder sich um Verwundete kümmerten. Andere engagierten sich politisch: Sie organisierten Erste-Hilfe-Kurse, halfen beim Drucken von Zeitungen für die Widerstandsgruppen (CLN) und bereiteten sich auf den Aufstand gegen die Faschisten vor.
Marina Addis Saba (1930–2021) war eine Historikerin und Autorin. Sie wurde in Sassari geboren, studierte Literatur in Rom und kehrte dann nach Sardinien zurück. Dort forschte sie zur Geschichte des Faschismus in Italien. Später setzte sie sich stark für Frauenrechte ein und wurde eine Expertin für Frauengeschichte in der modernen Zeit.

Die Frauen des Widerstands: Wie Töchter und Söhne von Partisaninnen die Erinnerung weitergeben, ILENIA CARRONE, 2014

In ihrem Buch erzählt Ilenia Carrone von den Erfahrungen der Frauen in der italienischen Resistenza– gesehen durch die Augen ihrer Kinder. Sie hat Söhne und Töchter von Partisaninnen aus der Gegend um Carpi interviewt. Dabei zeigt sie, wie wichtig der Beitrag dieser Frauen war: Ihr Widerstand war meist zivil, also ohne Waffen – aber trotzdem mutig, wirkungsvoll und stark politisch engagiert. Die Autorin macht deutlich, dass dieser Einsatz genauso bedeutend war wie der bewaffnete Kampf der Männer.
Ilenia Carrone (geboren 1983 in Carpi) ist eine Historikerin der Gegenwart. Sie hat an der Universität "La Sapienza" in Rom studiert und ihre Abschlussarbeit über die Weitergabe der Erinnerung an den Widerstand geschrieben. Seit über zehn Jahren sammelt sie Erzählungen und Erinnerungen von Menschen des Alltags. Außerdem hat sie lange als Lektorin in Verlagen gearbeitet und schreibt als Journalistin für die Zeitschrift Doppiozero. Sie war auch Redakteurin und Sprecherin für Web-TV- und Webradio-Projekte.

Der Widerstand der Frauen, Benedetta Tobagi, 2022

Durch gründliche historische Forschung bringt Benedetta Tobagi die Geschichte der Frauen im italienischen Widerstand wieder ans Licht. Sie zeigt, dass viele Frauen eine aktive und wichtige Rolle im Kampf gegen den Faschismus spielten. Mithilfe von Fotos und anderen Quellen erzählt die Autorin nicht nur die historischen Fakten, sondern macht auch sichtbar, wie stark sich diese Frauen politisch und zivil engagierten. Das Buch zeigt außerdem, wie sie für ihre Rechte kämpften und das damalige patriarchale Gesellschaftsbild in Frage stellten.
Benedetta Tobagi (geboren 1977 in Mailand) ist eine italienische Autorin und Historikerin. Sie arbeitet als Kulturvermittlerin und schreibt für die Zeitung La Repubblica. Viele Jahre lang war sie bei einem Radiosender der RAI tätig, und von 2012 bis 2015 war sie im Verwaltungsrat der RAI.

Verfolgt, verfemt, vergessen: Lebensgeschichtliche Erinnerungen an den Widerstand gegen Nationalsozialismus und Krieg, Südtirol 1943-1945, Leopold Steurer, Martha Verdorfer, Walter Pichler 1997

Die Südtiroler Geschichtsschreibung hat lange geschwiegen, wenn es um Kriegsdienstverweigerer, Deserteure und die Strafen ging, die oft auch ihre Familien trafen. Diese Menschen wurden nicht anerkannt – im Gegenteil, sie wurden oft angefeindet oder ausgegrenzt. Während andere als Helden gefeiert wurden, die dem NS-Regime folgten oder sich nicht widersetzten, blieb den wenigen, die "Nein" sagten, nur das bittere Schweigen.
In diesem Buch erzählen Leopold Steurer, Martha Verdorfer und Walter Pichler anhand vieler Interviews die Geschichten dieser mutigen Menschen in Südtirol – Männer und Frauen, die den Gehorsam verweigerten, flohen oder unter den Folgen für ihre Haltung litten.

Frau sein in der Befreiungsarmee, Maria Teresa Sega, 2025 (Buchkapitel)

Im neuen Sammelband  „Resistenza. Der Partisanenkrieg in Italien (1943–1945)“, herausgegeben von Filippo Focardi und Santo Peli (2025), findet sich ein spannender Beitrag von Maria Teresa Sega. Auf den Seiten 115–135 beschäftigt sie sich mit der schwierigen und oft kontroversen Frage, was es bedeutete, als Frau Teil des Befreiungskampfes zu sein (pp.115-135).

Der Widerstand der Frauen, Benedetta Tobagi, 2022

Durch gründliche historische Forschung bringt Benedetta Tobagi die Geschichte der Frauen im italienischen Widerstand wieder ans Licht. Sie zeigt, dass viele Frauen eine aktive und wichtige Rolle im Kampf gegen den Faschismus spielten. Mithilfe von Fotos und anderen Quellen erzählt die Autorin nicht nur die historischen Fakten, sondern macht auch sichtbar, wie stark sich diese Frauen politisch und zivil engagierten. Das Buch zeigt außerdem, wie sie für ihre Rechte kämpften und das damalige patriarchale Gesellschaftsbild in Frage stellten.
Benedetta Tobagi (geboren 1977 in Mailand) ist eine italienische Autorin und Historikerin. Sie arbeitet als Kulturvermittlerin und schreibt für die Zeitung La Repubblica. Viele Jahre lang war sie bei einem Radiosender der RAI tätig, und von 2012 bis 2015 war sie im Verwaltungsrat der RAI.

Artikel

Geschichte und Region/Storia e regione, Andrea di Michele, „Der 8. September 1943 in Südtirol“, Heft 1, 2009, S. 122–131

In diesem Artikel behandelt Andrea Di Michele die Bedeutung des 8. September 1943, ein Datum, das lange Zeit politisch und historisch instrumentalisiert wurde. Die deutschsprachigen Südtiroler erinnerten vor allem an die harte Verfolgung während des Faschismus, ohne viel über die Zusammenarbeit mit den Nationalsozialisten nach dem 8. September zu sprechen. Auf der anderen Seite betonten viele Italiener, dass das größte Leid für die Bevölkerung Südtirols nach diesem Datum begann – und lenkten dabei oft von der Verantwortung des faschistischen Regimes ab.
Seit Ende der 1960er Jahre hat sich die Geschichtswissenschaft deutlich weiterentwickelt und sie bemüht sich um eine objektivere Sicht auf diese Zeit. Die Politik hingegen nutzt auch heute noch häufig eine einseitige Darstellung der faschistischen und nationalsozialistischen Vergangenheit.

Geschichte und Region/Storia e regione, CARLO ROMEO,„La popolazione italiana nella Zona d’operazione delle Prealpi (1943–45)”, Band 3, 1994

Der Historiker Carlo Romeo untersucht die Lage der italienischsprachigen Bevölkerung in den Jahren 1943 bis 1945. In dieser Zeit wurde Südtirol –  von den Nationalsozialisten in „Operationszone Alpenvorland“ (OZAV) umbenannt wurde – von Deutschland besetzt und wie ein Teil des Deutschen Reiches verwaltet.

Geschichte und Region/Storia e regione, Christoph H. Von Hartungen, „Zur Lage der Südtiroler in der Operationszone Alpenvorland“, Band 3, 1994

In diesem Beitrag untersucht Christoph H. von Hartungen die Situation der deutschsprachigen Südtiroler in den Jahren 1943 bis 1945. In dieser Zeit wurde Südtirol – von den Nationalsozialisten in „Operationszone Alpenvorland“ (OZAV) umbenannt – von Deutschland besetzt und wie eine Provinz des Dritten Reiches verwaltet.

Die Operationszone Alpenvorland im Zweiten Weltkrieg, Andrea di Michele, Die zwei Widerstände in Südtirol, 2009

Aus dem Sammelband: Die Operationszone Alpenvorland im Zweiten Weltkrieg, Trient, Stiftung Historisches Museum Trentino, hrsg. von Andrea Di Michele, Rodolfo Taiani (2009)
Als im September 1943 die Provinzen Bozen, Trient und Belluno zur Operationszone Alpenvorland erklärt wurden, war die Gesellschaft in Südtirol tief gespalten. Diese Spaltungen hatten viele Gründe, die aus den großen politischen und sozialen Veränderungen der letzten 25 Jahre vor dem Krieg resultierten:
Der Übergang Südtirols zu Italien;
Das faschistische Regime mit seiner Politik, die deutsche Minderheit zu „italienisieren“ und eine neue italienische Gemeinschaft anzusiedeln;
Das Abkommen von Oktober 1939 zwischen Italien und Deutschland, das die Umsiedlung der deutsch- und ladinischsprachigen Bevölkerung vorsah;
Der Aufbau einer mächtigen nationalsozialistischen Verwaltungs- und Propagandamaschine im ganzen Gebiet.
Diese tiefen Risse in der Gesellschaft waren zahlreich, unterschiedlich und von verschiedener Stärke. Die wichtigste Teilung verlief zwischen den beiden größten Sprachgruppen, den Deutschen und den Italienern. Aber es gab auch andere: unter den verschiedenen sozialen Gruppen der neuen italienischen Gemeinschaft und besonders zwischen den Südtirolern, die sich für das Reich entschieden hatten, und denen, die auf dieser Seite des Brenners bleiben wollten.
Hinzu kam die Vielfalt der Reaktionen und Verhaltensweisen, die sich in dieser schwierigen und verwirrenden Situation entwickelten – geprägt von Krieg und dem Machtwechsel vom faschistischen Regime zur deutschen Besatzung.

Web

Donne della Resistenza, RENATA VIGANO', 1955 (Digitalizzato da Istituto Parri Bologna)

Das Werk „Frauen des Widerstands” von Renata Viganò besteht aus 28 Geschichten von Partisaninnen, die während des Zweiten Weltkriegs in Bologna und Umgebung auf tragische Weise ums Leben kamen. Damit wollte Vignanò auch Aspekte des (Arbeits-) Lebens, der Herkunft und des Todesumstände beleuchten, die in vielen Geschichten von Frauen im Widerstand vorkommen. Renata Viganò (Bologna, 1900-76) war Krankenschwester, Dichterin, Schriftstellerin und italienische Partisanin. Sie beteiligte sich am Widerstandskampf durch die Untergrundpresse und auch als Kurierin und Krankenschwester. Zu ihren berühmtesten Essays gehört „L'Agnese va a morire” (Agnese geht in den Tod) aus dem Jahr 1949, das in vierzehn Sprachen übersetzt wurde. 
Link

Collegamenti

Nella Mascagni

Dall'impegno nella Resistenza alla memoria nell'ANPI

Tea Palman

Dalle torture del lager alla memoria di una lotta antifascista

Franca "Anita" Turra

Pilastro della resistenza bolzanina

Marisa Scala

Una testimonianza contro l'oblio

Ada Buffulini

Dalla resistenza nel lager all'impegno nell'ANED

Marisa Scala

Eine Zeitzeugin gegen das Vergessen

Nella Mascagni

Vom Widerstand zum Gedenken im ANPI

Tea Palman

Von der Folter im Lager zur Erinnerung an den antifaschistischen Widerstand

Ada Buffulini

Vom Widerstand im Lager zum Engagement im ANED

Franca "Anita" Turra

Eine Schlüsselfigur des Bozner Widerstands

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